01/04/2021
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Obwohl ich mich schon seit langer Zeit mit dem Thema der frühkindlichen Mehrsprachigkeit beschäftige, muss ich zugeben, dass ich mich bis vor kurzem nicht intensiv mit der spezifischen Situation von Kindern mit Down-Syndrom auseinandergesetzt hatte. Ich fing an, Recherchen zu betreiben, als ich einen Artikel dazu entdeckte. Kurz darauf schrieb mir zufällig eine Mama, deren Baby mit dem Down-Syndrom auf die Welt gekommen war. So war mir klar, dass ich schnellstmöglich einen Blog-Beitrag zum Thema verfassen sollte, denn betroffene Eltern sind oft sehr verunsichert. Wenn man bedenkt, dass etwa jedes 700. Kind weltweit mit einem Down-Syndrom geboren wird (in Deutschland sind es etwa zw. 600 und 1000 Menschen im Jahr)[1], so ist es leicht sich vorzustellen, dass viele Eltern sich fragen, ob eine mehrsprachige Erziehung für das Kind möglich ist.
Eltern von Kindern mit D-S. wird oft empfohlen, auf die zweisprachige Erziehung zu verzichten, aus Angst, es könnte den ohnehin schon langsamen Spracherwerbsprozess noch mehr belasten und erschweren. Vor allem, weil ein fehlender Wortschatz bei dem Kind irgendwann zu Frustration führen könnte[2]. Doch eins kann ich nach meinen Recherchen schreiben: Auch wenn es nur wenige Studien gibt, die sich der Thematik widmen, zeigen sie alle dasselbe Ergebnis: Die zweisprachige Erziehung beeinträchtigt die Entwicklung der Kinder keineswegs[3].
Betrachten wir die Fragestellung erstmals von der Elternperspektive aus: Für die meisten, die in einer bikulturellen Beziehung leben, stellt sich die Frage nicht, ob das Kind bilingual erzogen werden soll oder nicht. Es resultiert einfach aus ihrer Sprach-Konstellation. Eine einsprachige Erziehung wäre in dem Fall unnatürlich bzw. würde bedeuten, dass das Kind mit anderen Familienmitgliedern gar nicht kommunizieren kann: Einfach undenkbar. Außerdem ist es doch wichtig, dass ein Elternteil mit dem Kind die Sprache sprechen kann, in der er sich selbst am wohlsten fühlt, in der er mit ihm eine starke Bindung aufbauen kann, ihm viel Zuwendung und Liebe vermitteln kann.
Im Folgenden zeige ich, worauf Eltern achten sollten, die diesen Weg gehen wollen. Ich lege den Fokus auf den simultanen und den sukzessiven Zweitspracherwerb, d.h. auf den bilingualen Spracherwerb von Anfang an (wo das Kind mit spätestens 4 in intensiver Berührung mit der Zweitsprache kommt). Zur Dreisprachigkeit möchte ich mich hier nicht äußern, weil es noch weniger erforscht wurde, wobei ein paar Fallstudien zeigen, dass auch das funktionieren kann.
Alle Kinder mit Down-Syndrom haben nicht das gleiche Behinderungsbild: Bei manchen ist die Form der geistigen Behinderung schwerer als bei anderen. Damit ist auch das Entwicklungstempo von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Dennoch lässt sich allgemein sagen, dass die Entwicklung aufgrund (senso-)motorischer und kognitiver Beeinträchtigungen verzögert verläuft[4]. Kinder mit Down-Syndrom produzieren ihre ersten Wörter deutlich später als Kinder ohne Behinderung: Mit 2 Jahren können sie ca. 10 Wörter aussprechen, mit 3 ca. 30. An der Stelle ist aber wichtig zu erwähnen, dass sie eine höhere rezeptive Fähigkeit besitzen, d.h. sie verstehen mehr als sie aktiv sprechen können[5].
Die Faktoren lassen sich in zwei Kategorien gliedern: Einerseits gibt es die Aspekte, die die Sprachentwicklung allgemein bei mehrsprachigen Kindern beeinflussen, und andererseits gibt es die Aspekte, die die Sprachentwicklung bei Kindern mit D-S. eine Rolle spielen.
Wer öfter Beiträge von mir liest, weiß bereits, dass eins der wichtigen Punkte bei einer mehrsprachigen Erziehung die Struktur darstellt. Sie ermöglicht dem Kind, den Prozess der Sprachtrennung zu durchlaufen, der für die Sprachentwicklung notwendig ist. Die Struktur ergibt sich aus der Wahl einer Kommunikationsstrategie (Siehe Tipps unten). Der nächste wichtige Aspekt ist der Sprachkontakt. Hier sollten die Eltern nicht nur auf Quantität achten, sondern auch auf Qualität: In dem Fall bedeutet das, eine unterstützte Sprache zu verwenden (Siehe Tipps unten). Noch dazu spielt die Einstellung zur Mehrsprachigkeit aus dem Umfeld eine wichtige Rolle. Wenn die Kinder eine Form von Ablehnung gegenüber einer ihrer Sprachen verspüren, wird sich dies negativ auswirken. Bei Kindern mit Down-Syndrom kommen noch dazu Faktoren wie der Schweregrad der Behinderung, längere Krankenhausaufenthalte (je mehr, desto schlechter die Sprachkompetenz) und die therapeutische Begleitung ins Spiel.
Bei Kindern mit D-S. empfiehlt es sich, ein „einfaches” Modell zu wählen wie Eine-Person-Eine-Sprache oder eine-Familiensprache-eine-Umgebungssprache[6]. Bei der zweiten Strategie sollte der intensive Kontakt zur Umgebungssprache (z.B. durch den Eintritt in eine Kindertagesstätte) schon frühzeitig ansetzten, um u.a. den emotionalen Bezug zur deutschen Sprache zu sichern [7].
Eltern sollten offen mit anderen Menschen in ihrem Umfeld über die zweisprachige Erziehung sprechen und selbst hinter ihrer Entscheidung stehen.
Kinder mit D-S. können von einer unterstützten Kommunikation profitieren. Diese gibt es in unterschiedlichen Formen. Die eine ist der Einsatz von Gebärden, weil sie die Möglichkeit bieten, „sich spontan zu äußern und schnell auf eine Kommunikationssituation zu reagieren”[8]. Hier eignet sich besonders das MAKATON-System, da dieses aus wenig komplexen Gebärden besteht. Eltern können aber schon früh damit anfangen, bestimmte Wörter mit Gebärden zu assoziieren: z.B. „Ja” wird mit einem Nicken begleitet, „weg” mit einer spezifischen Gestik, usw[9]. Generell ist unterstützte Kommunikation (auch durch Abbildungen oder Wortkarten) fördernd und empfehlenswert, weil ihre „aufmerksamkeits- und konzentrationsfähigkeit […] bei visuellen Informationen besser als bei auditiven [ist]”[10]. Eine Möglichkeit bietet auch das Frühlesen, wobei es sich nur dann empfiehlt, wenn es dem Kind und den Eltern Spaß macht[11].
Außerdem ist bei Kindern mit D-S. der Blick-Kontakt besonders wichtig. Bezugspersonen sollten „jede Möglichkeit wahrnehmen, Augenkontakt herzustellen oder wiederherzustellen”, um das Blickfeld des Kindes nach und nach zu erweitern[12]. Eltern sollten immer erstmal den Blickkontakt herstellen, bevor sie ihrem Kind etwas zeigen. Kinder mit D-S. haben zudem Schwierigkeiten zu erlernen, dass Objekte, die nicht sichtbar sind, noch existieren (das nennt man „Objektpermanenz"). Doch auch diese Fähigkeit ist ein wichtiger Teil der Sprachentwicklung. Deshalb sollten Eltern versuchen, diese zu fördern, indem sie Versteck-Spiele (wie z.B. „kuckuck”, „wo ist denn…?”) spielen[13].
Außerdem sollten Eltern ihr Kind immer aussprechen lassen (auch wenn es Geduld erfordert) und die Kommunikation für das Kind so einfach wie möglich machen, indem sie einfache und kurze Sätze verwenden.
Eltern sollten darauf achten, dass ihr Kind schon früh mit einer logopädischen Therapie beginnt. Im Idealfall sollten sie versuchen, eine logopädische Fachkraft zu finden, die offen für Mehrsprachigkeit ist[14]. Die Fachkraft kann auch den Eltern dabei helfen, die unterstützte Kommunikation in den Alltag zu integrieren.
Ich kann nur allen Eltern von Kindern mit Down-Syndrom, die den Weg der mehrsprachigen Erziehung gehen möchten, ans Herz legen, es zu tun. Holt euch von Anfang an die richtige Fachperson, lasst eurem Kind die Zeit, seine Entwicklungsschritte in seinem eigenen Tempo zu machen, begleitet ihn/sie ganz bewusst dabei und es wird sicherlich eine ganz wunderbare Reise!
Quellen
[1] Stray-Gundersen 2011
[2] Wilken 2000
[3] Siehe u.a. Katsarou/Andreou 2019, Kelly Burgoyne et al. 2016.
[4] Vaskova 2013: 25; Randel-Timperman 2019: 10.
[5] Katsarou/Andreou 2019: 1.
[6] Montanari 2013.
[7] Wilken 2000.
[8] Vaskova 2013: 24.
[9] Randel-Timperman 2019: 14.
[10] Randel-Timperman 2019: 32-33.
[11] Randel-Timperman 2019: 35.
[12] Randel-Timperman 2019: 7.
[13] Randel-Timperman 2019: 9.
[14] Vaskova 2013: 43-44.
Burgoyne, K.; Duff, F. J.; Nielsen, D.; Ulicheva, A.; Snowling, M. J. (2016): „Bilingualism and Biliteracy in Down Syndrom: Insights From a case study”, Language learning 66, S. 945-971.
Katsarou, D.; Andreou, G. (2019): „Bilingualism in down syndrome: A greek study”, international Journal of Disability, Development and Education, online Verfügbar unter: https://doi.org/10.1080/1034912X.2019.1684458 (letztes Mal am 29.03.21).
Kay-Raining Bird, E. et al. (2005): „Bilingual Children with Down Syndrome: A longitudinal Study”, American Journal of Speech-Language Pathology, 14 (3), S. 187-199.
Montanari, E. (2013): Mit zwei Sprachen groß werden. Mehrsprachige Erziehung in Familie, Kindergarten und Schule. 11. Aufl. München: Kösel.
Ostad, J. (2008): Zweisprachigkeit bei Kindern mit Down-Syndrom, Kovač.
Randel-Timperman, M.: „Wie Kinder mit Down-Syndrom sprechen lernen. Förderung und Therapie”, online verfügbar unter: http://down-syndrom-koeln.de/wp-content/uploads/2019/01/sprechen-lernen.pdf (letztes Mal am 29.03.21).
Vaskova, A. (2013): Mehrsprachigkeit bei Kindern mit Down-Syndrom, Diskussion der Chancen und Gefahren der mehrsprachigen Erziehung, Grin Verlag.
Wilken, E. (2000): Sprachförderung bei Kindern mit Down-Syndrom. Mit ausführlicher Darstellung des GuK-Systems. 8. Aufl., Ed. Marhold.
Woll, B.; Grove, N. (1996): „On Language Deficits and Modality in Children With Down Syndrome: A Case Study of Twins Bilingual in BSL and English”, Journal Deaf studies and Deaf Education, 4, 1, S. 271-278.
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Dr. Adeline Hurmaci
"Mehrsprachig erziehen ist eine Kunst; die Kunst, bei seinem Kind die innere Motivation für das Lernen seiner Sprachen zu pflegen."
Ich weiß, wie es sich anfühlt, in der Öffentlichkeit eine andere Sprache mit seinem Kind zu sprechen; ich weiß, wie es sich anfühlt, mit mehreren Sprachen im Familienalltag zu jonglieren; und ich weiß, welche Sorgen euch als Eltern begleiten.
Mein Name ist Dr. Adeline Hurmaci, ich komme gebürtig aus Frankreich, bin promovierte Kulturwissenschaftlerin und Expertin für frühkindliche Mehrsprachigkeit. Zusammen mit meinem türkisch sprechenden Mann ziehen wir unsere zwei Söhne (8 und 2) dreisprachig auf.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, in der Öffentlichkeit eine andere Sprache mit seinem Kind zu sprechen; ich weiß, wie es sich anfühlt, mit mehreren Sprachen im Familienalltag zu jonglieren; und ich weiß, welche Sorgen euch als Eltern begleiten.
Ich weiß auch, dass eine erfolgreiche und glückliche Mehrsprachigkeit keine Selbstverständlichkeit ist und „Arbeit” erfordert. Und gleichzeitig weiß ich, dass sie nicht zu einer zusätzlichen Belastung für die Familie werden dürfte, sondern sich leicht und bereichernd anfühlen sollte.
Deshalb habe ich Herzenssprachen im Jahr 2019 ins Leben gerufen. In den letzten fünf Jahren habe ich mit meiner Methode schon über 80 Familien auf ihrem Weg zur glücklichen Mehrsprachigkeit erfolgreich begleitet.
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